6. Oktober 2010

Ja leck mich am Arsch - Oder: Popa Chubby Live

Wäre Adipositas heilig, wäre Popa Gott. Gut, anmaßend, aber zum Gitarrengott hat er es für mich nun endgültig geschafft.
Würde ich Ihn nach einem kurzen Wortwechsel als eher introvertiert bezeichnen, wandelt sich diese Einschätzung mit dem Betreten der Bühne, seiner Bühne. Popa, der König des New York City - Blues, der Entdecker Mason Caseys, der augenscheinlich Mitverantwortliche für den Hunger in der Dritten Welt füllt den Saal - und dies ist nicht seiner körperlichen Fülle geschuldet. Vielmehr erreicht er den Zuhörer bereits vor den ersten Klängen mit seiner Ausstrahlung.
Popa hat den Blues und lässt jeden Einzelnen daran teilhaben.  

Gehört es bei den bildungsfernen Schichten zu gesellschaftlichen Anlässen, das Ensemble auf der Bühne mit lauten "Ausziehen"-Rufen zu beglücken, ist auch der Popa-Zuhörer fast geneigt sich zu ähnlichen lauten, anfeuernden Rufen hinreissen zu lassen: "Aufstehen!" möchte man ihm entgegen schreien. Popa saß leider die meiste Zeit.

Ist ein sitzender Popa wirklich hervorragend, ist er stehend sensationell! 

Auch der sitzende Popa wusste mich zu erfreuen, und zwar ganz gewaltig - und nicht nur mich. Während ich mich tatsächlich vom leichten Fußwippen steigerte, bis hin zu spontan gröhlenden Begeisterungsbekundungen, rhythmus-konformen Kopfwackeln und aufgeregtem Bierflasche-in-die-Luft-reißen wenn ein gnadenloses Gitarrensolo alle Hemmungen schwinden ließ, überschritten manch andere Zuhörer sehr schnell alle Grenzen des denkbar Möglichen.

So fand sich rechts vor mir ein junger Mann wieder, an dessen Kleidungsstil sich seine Affinität zu Popa und dessen Musik sicherlich nicht ablesen lies. Dieser Junge Mann war wohl in seiner Vergangenheit Schüler einer Einrichtung mit fraglichen pädagogischen Ansätzen, Sie wissen schon, übermotivierte, besserwissende Jungpädagogen mit innovativen, weltverändernden Lehrmethoden - denn, dieser Mann tanzte, er tanzte als sei eine Horde berittener Mongolen hinter ihm her und er wollte diese in die Flucht tanzen. Tatsächlich gehe ich davon aus, dass dieses Tanzritual einen durchaus ernsten Hintergrund hatte, dieser Junge Mann empfing ihn, den Blues, und da er sich nicht zu helfen wusste tanzte er seinen Namen, er tanzte ihn vorwärts, er tanzte ihn rückwärts. Möglicherweise sind Umlaute schwer zu tanzen und sein Name hatte viele davon, wer weiß das schon.
Aber der Punkt ist, auch ihn hat Popa erreicht.

Als mein persönliches Highlight des Abends in Form von "Stoop down Baby" erreicht war und Popa endlich wieder stand, überlegte ich kurz mich mit meinem neuen Freund, dem Namenstänzer zu verbünden - ich konnte gerade noch an mich halten.

Popa, ein Schwerstarbeiter im Auftrag des Blues. Präzises, druckvolles Gitarrenspiel, eine Drei-Mann-Band, die die Halle rockt als wären es derer Zehn.

Ein großartiges Konzerterlebnis, ein überragender Popa.
Kurz: Rock 'n' Roll. 

The Fight is on - Danke Popa, wir kommen wieder.

13. Februar 2010

Wo ist Behle?

Gerade sitze ich lustlos vor dem Fernseher und verfolge den Countdown zu den Olympischen Winterspielen 2010. Nicht weil ich olympiabegeistert bin, vielmehr weil mein kleines Töchterchen für mich beschlossen hat, meinen nächtlichen Schlaf vorerst zu beenden und das Programm nichts wirklich besseres zu bieten hat.
Und da kommt er, der für die deutsche Berichterstattung über olympische Winterspiele unvermeidliche Satz: „Wo ist Behle?“

Dabei kommt mir Westernhagens gleichnamiger Titel aus dem Album Radio Maria in den Sinn.

Damit sind wir beim Thema. Westernhagen, Alben 2009: „Williamsburg“.

Williamsburg ist möglicherweise nicht das geeignetste Album, um für Westernhagen neue  -aus monetären Gründen relevante- Märkte und Zielgruppen zu erschließen, wie es einst mit Halleluja der Fall war. Das war sicherlich auch nicht Westernhagens primäres Anliegen. 2009 stand hinter Marius keine Plattenfirma mit kommerziellen Interessen mehr, der Vertrag mit Warner wurde nicht verlängert und Westernhagen produzierte Williamsburg in Eigenregie. Dies kann für das künstlerische Schaffen eines Musikers ja durchaus dienlich sein.

Williamsburg wurde im gleichnamigen New Yorker Stadtteil mit hochrangingen Musikern eingespielt. „Ich wollte nie mehr als der Sänger einer Band sein“ lässt Westernhagen auf seiner Website verlauten. Auf Williamsburg geht dieser Wunsch sicherlich deutlich mehr in Erfüllung als auf anderen Alben. Westernhagen gab seinen Musikern für die neu eingespielten Songs eine Guideline vor und ließ daraus ein neues kreatives Gesamtwerk entstehen. 

Dieser Weg war der richtige. Zwar sind manche Titel etwas seicht, man sollte keine Marius-Hymnen, wie sie einst in den 70igern und 80igern entstanden, erwarten. ABER, Williamsburg ist ein richtig gutes Album. Die Platte vermittelt Spielfreude und Leichtigkeit pur. Die Musiker harmonieren hervorragend, sind dennoch eigenständig und bringen ihre eigene, individuelle Note mit ein. Es macht richtig Freude jedem Protagonisten einzeln zu folgen.
Auch klanglich kann Williamsburg überzeugen, das Album klingt warm, voluminös, dynamisch und rund. Alles in allem eine hervorragend stimmige Produktion mit viel Atmosphäre. Ein merklich entspannter Westernhagen, hat hier mit hervorragenden Musikern ein zeitloses Album eingespielt.

Nach einer kurzen „Einhörphase“ hat mich Westernhagen mit Williamsburg voll erreicht. Er befindet sich mit diesem Album, wenn auch deutlich gereift, durchaus auf dem Weg Back to the Roots. Und das ist gut so.

Marius hat ihn noch, den Blues!

17. Januar 2010

Und endlich... deutschsprachige Musik boomt – und ist auch noch gut. Manchmal...

Bei „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ ist nicht nur der Titel des Albums gelungen. Jan Delay funkt und grooved fast schon wie die ganz Großen. Till Brönner jazzt, dass Chet Baker sicherlich seine Freude daran gehabt hätte – vorausgesetzt er hatte überhaupt an irgend etwas Freude. Tokio Hotel stürmt mit kindgerechter Pop-Rock-Musik und einem Styling das an L'Oréal-Werbung der 80iger erinnert weltweit die Charts und zahlreiche Kinderherzen. DJ Ötzi begeistert mit Musikantenstadel- und Satireshow-kompatiblem Primitiv-Schlager Millionen von Hausfrauen und angetrunkenen Besuchern von Volks- und Feuerwehrfesten in ihren überfüllten Bierzelten.


Und was machte der gute alte ehrliche Rock 'n' Roll 2009?

Lange hatte ich gehofft. 2009 dann endlich, nach 10 Jahren, mit „und endlich unendlich“  der Wiedereintritt von Selig in das deutsche Rockgeschäft um die Nische - die sie einst selbst geschaffen hatten - wieder zu füllen. Zugegeben, teilweise ruhiger als früher, nicht mehr so düster, einfach noch nicht ganz „Hier“, der „Arsch einer Göttin“ fehlt beim ersten vorsichtigen Anhören noch. Aber, gewohnter Gitarrensound, genial aufgebaute Spannungsbögen, zeitlose Stücke und Jan Plewka's unverwechselbare Stimme hauchen dem Album sein außergewöhnliches Leben ein. Plewka singt, schreit und "melancholiert" um sein Leben.
Die Platte ist vielleicht etwas zu brav abgemischt, live performt Selig das Album noch ehrlicher, und auch härter -wenn auch der Sound bei dem Konzert leider als bescheiden beschrieben werden muss.

Johann Hölzel, überzeugt vom großen Selig-Potenzial und deren Alleinstellung sagte zu „Hier“-Zeiten auf Viva-Plus: „Lasst die Jungs mal machen!“, dem schließe ich mich an: „Macht mal Jungs.“

Danke Selig – Ihr macht mir wirklich verdammt viel Spaß.

„Und endlich unendlich“, eines meiner Alben 2009.

16. Januar 2010

Brachiale Urgewalt brüllt, schnaubt, hechelt den Blues

1995 röhrte sich Tom Waits mit seinem Album „Bone Machine“ in mein heimisches Wohnzimmer und hat dieses seither nicht mehr verlassen. Fasziniert von den Bildern und Emotionen die Waits in seinen Arrangements zu transportieren vermag hat er mich – und mittlerweile glücklicherweise auch meine Frau – in seinen Bann gezogen. Obwohl auch der frühe Tom Waits eine gewisse Faszination bei mir hervorruft, gehört meine „Liebe“ doch eher seinen Werken der letzten zwei Dekaden.


Glitter and DoomMit „Glitter and Doom“ hat Tom Waits 2009 fernab der kommerzialisierten aalglatt-Musik ein sensationelles Live-Album veröffentlicht, das meinen CD-Spieler mehrere Tage nicht mehr verlassen mochte. Mehr noch als bei manch anderem Waits-monumental-Werk treiben mir bereits die ersten Klänge von „Lucinda – Ain't Goin Down“ in wahrer Vorfreude auf das was mich auf dieser Platte noch erwartet ein breites, nicht enden wollendes Grinsen ins Gesicht. 

Absolut zum empfehlen ist die sehr gut gemachte Waits-Website mit vielen Informationen und erstklassigen Videos.

2009 Glanz und Untergang am Plattenmarkt...

Gleich vorab, auf eine Platte des Jahres kann und will ich mich nicht festlegen.
Oft kaufe ich im Eifer des Gefechtes eine neue CD ungehört – teilweise auch von mir unbekannten Interpreten, einfach nur weil das Cover interessant aussieht. Zu Hause angekommen, lege ich sie in den CD-Spieler, befinde das ein oder andere Exemplar für schlecht, stemple sie als Fehlkauf ab und versenke sie irgendwo in den Tiefen meiner Sammlung. Nicht selten erhalten diese Relikte aus der Kategorie „Wie konnte ich nur...“ eine zweite Chance und schaffen es dann tatsächlich zum Rock 'n' Roll – Status.
Zudem ist Musik eine überaus emotionale Angelegenheit und die Kriterien zur Auswahl einer Lieblingsplatte sind von Natur aus gewissen Schwankungen ausgeliefert. DIE Platte des Jahres wird es also nicht geben. Trotzdem gab es 2009 durchaus erwähnenswerte Neuanschaffungen die mein Herz erfreut haben oder meinen Glauben an gute Musik auf´s Tiefste erschüttert haben.

In den folgenden Tagen (oder vielleicht Wochen?) möchte ich einige meiner Platten des Jahres 2009 kurz vorstellen.