23. September 2012

Die Überlegenheit des Alters – Bob Dylans „Tempest“

Wie schreibt man über ein neues Dylan-Album?
Cover zu Bob Dylan - Tempest
Kompliziert sollte der Text sein, ein paar Querverweise auf ein bis vier der vergangenen 34 Studioalben, irgendetwas besonders intellektuelles muss noch mit rein. Und wir müssen noch analysieren, wen Dylan mit seinen Songs huldigt.
Im Zusammenhang mit dem Album „Tempest“ sollte man vielleicht auch noch etwas von
Shakespeares "Sturm" schreiben. Das alles kann ich also schon mal getrost weglassen, das haben die anderen sicher schon getan.

Wie ist es mir mit diesem, im Vorfeld schon als Meisterwerk angekündigten Album von Herrn Dylan ergangen?

Nun, mein erster Hörversuch sah so aus: Meine Kleine saß mit Ihrem Windelarsch auf meinem Gesicht, meine Große wollte Fahrradfahren, Spazierengehen, Roller- und Kettcarfahren, alles auf einmal
Tempest dudelte also nebenher und ich konnte mich nicht richtig festlegen: Langweilig, Dylan-Mainstream. gut, sensationell?

Mittlerweile konnte ich mich dem Album in aller Ruhe widmen.

29. März 2012

Wie konnte diese Platte nur so lange an mir vorbei gehen?

Ich bin Blues-Fan. Außerdem sehr experimentierfreudig. So kaufe ich oft Platten blind, weil mir das Cover oder der Name gefällt. Darunter sind unerträglich schlechte Platten aber ab und an gibt es einen echten Glücksgriff. Ein eben solcher ist „Deep in the Blues“ von James Cotton.

15 lange Jahre nach Veröffentlichung mussten vergehen, bis es dieses Meisterstück des Delta-Blues in meine CD-Sammlung geschafft hat.
Ich schaffe es bei vielen traditional Blues-Alben –bei aller Liebe- nicht, die gesamte CD am Stück durchzuhören. Irgendwann wird es mir zu anstrengend. Anders ist das bei Deep in the Blues. Der damals 60 jährige James Cotton krächzt heiser, dreckig aber unglaublich leidenschaftlich seine Titel ins Mikro. Gänsehaut, Grinsen, Lachen, Faszination.

Blues wie er sein muss, bodenständig, ehrlich, kompromisslos.

Begleitet wird Cotton am Kontrabass durch den bekannten Jazz-Bassisten Charlie Haden, der es wie kein zweiter versteht, seinen Bass einfach aber sensationell tragend und treibend zu spielen.

Dazu kommt, dass diese Platte sowas von geil klingt, dass es sicher auch den ein oder anderen, dem Blues nicht so zugetanen Zuhörer aus den Socken haut. Perfekte Räumlichkeit, klar abgegrenzte Instrumente, eine Natürlichkeit, die man leider viel zu selten findet.

17. Februar 2012

Bad As Me – die Salonfähigkeit eines Rabauken

Mainstream – was ist das? Waits mit dem Begriff Mainstream in Verbindung zu bringen ist sicherlich absurd. Mit „Bad As Me“ hat Waits jedoch ein Werk vorgelegt, welches in waitsschen Sphären wohl am ehesten als salonfähig hinsichtlich des allgemein-populären Musikverständnisses interpretiert werden könnte. So lassen sich mehr denn je klassische musikalische Einflüsse heraushören.

Waits überrascht mich seit Jahren immer wieder, nun wird er melodisch, spielt mit seiner Stimme – man hat den Eindruck mit über 60 drängt sich auf einmal ein Harmonie-Bedürfnis auf und Waits wird milde. So ist es aber nicht. Es kracht, rumort und lärmt noch immer gewaltig, für das ungeübte Ohr allerdings koordinierter. Das Album ist variabel, spielt gekonnt mit unterschiedlichen Stimmungen.

„Bad As Me“ vermag ein Album zu werden, welches Waits einem breiteren Publikum zugängig macht. Fast klingt es wie ein „Best of“.

Der Altmeister weiß mich zu beeindrucken. Das Grinsen, welches sich bereits bei der Ankündigung einer neuen Waits-Platte in mein Gesicht zeichnet bleibt auch nach den letzten Klängen erhalten.

Hutziehend möchte ich dieses Album für mich in nur wenigen Worten umschreiben: „das ist Rock & Roll“.

2. Dezember 2011

Ein Feuerwerk der guten Laune! Nickelback – was habe ich gewartet

Endlich, es ist da. Das neue Nickelback-Album „Here and Now“. Rein in den Plattenladen, raus ins Auto und rein damit in den CD-Player. Bereits bei den ersten Klängen von „This Means War“ ist klar: genau das wollte ich hören. Meine Laune steigt. Knackige, harte Gitarren, nicht lärmend sondern rhythmisch. Nach Bottoms Up denke ich mir: „Besser kann es nicht werden!“ 

Leider behalte ich zunächst Recht. Lied 3, „When We Stand Together“. Nach den ersten Takten prüfe ich hektisch, ob ich versehentlich von CD auf Radio gewechselt habe. Leider nicht. Was soll denn das? Hejjejejeyeah? Unweigerlich muss ich an ein Bierzelt denken, in dem besoffene Massen auf den Biertischen stehend grölen: „Hejjejejeyeah“. Habt ihr schlecht geschlafen? Beth Ditto nackt gesehen? Ich bekomme etwas Angst. Bitte lass es nach der Nummer wieder aufwärtsgehen. 

Zum Glück, so ist es. Bei Midnight Queen bin ich wieder versöhnt. Ich höre das Lied aufmerksam durch, ob sich nicht doch noch ein massenkompatibles Schalalalalalalala eingeschlichen hat. Nein, Area cleared, alles im Lot. Die Stimmung steigt, Nickelback sind wieder meine Freunde und ich genieße ein wirklich gelungenes Rock-Album! Nickelback, in Sachen harter Rock eine meiner absoluten Lieblingsbands!

Klanglich für ein Rock-Album: Sehr gut.
Meine Empfehlung: Kaufen und freuen.

Eine kleine Anmerkung noch: Was ich vermisse sind die CD-Texte, also dass mein Radio mir Titel und Interpreten anzeigt. Das sollte Standard sein.

30. November 2011

Avantgarde, Kunst? – Lulu

Lou Reed meets Metallica. Dieses Experiment hat mich brennend interessiert. Freu ich mich doch im Vorfeld immer riesig, wenn sich etwas Neues von Lou Reed ankündigt. Leider ist die Vorfreude ab und an deutlich größer, als der Wunsch, die Platte immer wieder anzuhören.

Mit Metallica konnte ich dagegen nie wirklich etwas anfangen. Zugegeben, sie sind eine hervorragende Rockband, von deren Kaliber es sicher nicht allzu viele gibt – aber irgendwie werde ich nicht warm mit ihnen. Sie haben irgendetwas Bedrohliches in ihrer Musik, nicht die verschobene Melancholie, die beispielsweise ein Nick Cave an den Tag legt. Ich kann es nicht wirklich erklären. Ich finde mich einfach damit ab.

6. Oktober 2010

Ja leck mich am Arsch - Oder: Popa Chubby Live

Wäre Adipositas heilig, wäre Popa Gott. Gut, anmaßend, aber zum Gitarrengott hat er es für mich nun endgültig geschafft.
Würde ich Ihn nach einem kurzen Wortwechsel als eher introvertiert bezeichnen, wandelt sich diese Einschätzung mit dem Betreten der Bühne, seiner Bühne. Popa, der König des New York City - Blues, der Entdecker Mason Caseys, der augenscheinlich Mitverantwortliche für den Hunger in der Dritten Welt füllt den Saal - und dies ist nicht seiner körperlichen Fülle geschuldet. Vielmehr erreicht er den Zuhörer bereits vor den ersten Klängen mit seiner Ausstrahlung.
Popa hat den Blues und lässt jeden Einzelnen daran teilhaben.  

Gehört es bei den bildungsfernen Schichten zu gesellschaftlichen Anlässen, das Ensemble auf der Bühne mit lauten "Ausziehen"-Rufen zu beglücken, ist auch der Popa-Zuhörer fast geneigt sich zu ähnlichen lauten, anfeuernden Rufen hinreissen zu lassen: "Aufstehen!" möchte man ihm entgegen schreien. Popa saß leider die meiste Zeit.

Ist ein sitzender Popa wirklich hervorragend, ist er stehend sensationell! 

Auch der sitzende Popa wusste mich zu erfreuen, und zwar ganz gewaltig - und nicht nur mich. Während ich mich tatsächlich vom leichten Fußwippen steigerte, bis hin zu spontan gröhlenden Begeisterungsbekundungen, rhythmus-konformen Kopfwackeln und aufgeregtem Bierflasche-in-die-Luft-reißen wenn ein gnadenloses Gitarrensolo alle Hemmungen schwinden ließ, überschritten manch andere Zuhörer sehr schnell alle Grenzen des denkbar Möglichen.

So fand sich rechts vor mir ein junger Mann wieder, an dessen Kleidungsstil sich seine Affinität zu Popa und dessen Musik sicherlich nicht ablesen lies. Dieser Junge Mann war wohl in seiner Vergangenheit Schüler einer Einrichtung mit fraglichen pädagogischen Ansätzen, Sie wissen schon, übermotivierte, besserwissende Jungpädagogen mit innovativen, weltverändernden Lehrmethoden - denn, dieser Mann tanzte, er tanzte als sei eine Horde berittener Mongolen hinter ihm her und er wollte diese in die Flucht tanzen. Tatsächlich gehe ich davon aus, dass dieses Tanzritual einen durchaus ernsten Hintergrund hatte, dieser Junge Mann empfing ihn, den Blues, und da er sich nicht zu helfen wusste tanzte er seinen Namen, er tanzte ihn vorwärts, er tanzte ihn rückwärts. Möglicherweise sind Umlaute schwer zu tanzen und sein Name hatte viele davon, wer weiß das schon.
Aber der Punkt ist, auch ihn hat Popa erreicht.

Als mein persönliches Highlight des Abends in Form von "Stoop down Baby" erreicht war und Popa endlich wieder stand, überlegte ich kurz mich mit meinem neuen Freund, dem Namenstänzer zu verbünden - ich konnte gerade noch an mich halten.

Popa, ein Schwerstarbeiter im Auftrag des Blues. Präzises, druckvolles Gitarrenspiel, eine Drei-Mann-Band, die die Halle rockt als wären es derer Zehn.

Ein großartiges Konzerterlebnis, ein überragender Popa.
Kurz: Rock 'n' Roll. 

The Fight is on - Danke Popa, wir kommen wieder.

13. Februar 2010

Wo ist Behle?

Gerade sitze ich lustlos vor dem Fernseher und verfolge den Countdown zu den Olympischen Winterspielen 2010. Nicht weil ich olympiabegeistert bin, vielmehr weil mein kleines Töchterchen für mich beschlossen hat, meinen nächtlichen Schlaf vorerst zu beenden und das Programm nichts wirklich besseres zu bieten hat.
Und da kommt er, der für die deutsche Berichterstattung über olympische Winterspiele unvermeidliche Satz: „Wo ist Behle?“

Dabei kommt mir Westernhagens gleichnamiger Titel aus dem Album Radio Maria in den Sinn.

Damit sind wir beim Thema. Westernhagen, Alben 2009: „Williamsburg“.

Williamsburg ist möglicherweise nicht das geeignetste Album, um für Westernhagen neue  -aus monetären Gründen relevante- Märkte und Zielgruppen zu erschließen, wie es einst mit Halleluja der Fall war. Das war sicherlich auch nicht Westernhagens primäres Anliegen. 2009 stand hinter Marius keine Plattenfirma mit kommerziellen Interessen mehr, der Vertrag mit Warner wurde nicht verlängert und Westernhagen produzierte Williamsburg in Eigenregie. Dies kann für das künstlerische Schaffen eines Musikers ja durchaus dienlich sein.

Williamsburg wurde im gleichnamigen New Yorker Stadtteil mit hochrangingen Musikern eingespielt. „Ich wollte nie mehr als der Sänger einer Band sein“ lässt Westernhagen auf seiner Website verlauten. Auf Williamsburg geht dieser Wunsch sicherlich deutlich mehr in Erfüllung als auf anderen Alben. Westernhagen gab seinen Musikern für die neu eingespielten Songs eine Guideline vor und ließ daraus ein neues kreatives Gesamtwerk entstehen. 

Dieser Weg war der richtige. Zwar sind manche Titel etwas seicht, man sollte keine Marius-Hymnen, wie sie einst in den 70igern und 80igern entstanden, erwarten. ABER, Williamsburg ist ein richtig gutes Album. Die Platte vermittelt Spielfreude und Leichtigkeit pur. Die Musiker harmonieren hervorragend, sind dennoch eigenständig und bringen ihre eigene, individuelle Note mit ein. Es macht richtig Freude jedem Protagonisten einzeln zu folgen.
Auch klanglich kann Williamsburg überzeugen, das Album klingt warm, voluminös, dynamisch und rund. Alles in allem eine hervorragend stimmige Produktion mit viel Atmosphäre. Ein merklich entspannter Westernhagen, hat hier mit hervorragenden Musikern ein zeitloses Album eingespielt.

Nach einer kurzen „Einhörphase“ hat mich Westernhagen mit Williamsburg voll erreicht. Er befindet sich mit diesem Album, wenn auch deutlich gereift, durchaus auf dem Weg Back to the Roots. Und das ist gut so.

Marius hat ihn noch, den Blues!